Austauschschueler - Tagebuchnotizen 2003/2004- Franziska Rodewald
 

Ein erstes Lebenszeichen

Hi Folks!

Als mir mein Bruder Anfang Januar auf dem Schulhof den Brief gab, hatte ich meinen USA - Aufenthalt eigentlich schon abgeschrieben und steckte mitten in den Vorbereitungen fuer ein Jahr in Lettland. However, als ich sah, dass der Brief vom deutschen Bundestag war, ich ihn aufriss und die ersten Zeilen las: " Herzlichen Glueckwuensch, ich freue mich dir mitteilen zu koennen...", da war Europa vergessen!

Ich hatte mich einige Monate vorher um ein Vollstipendium beim Parlamentarischen Patenschaftsprogramm (PPP) beworben und war nach viel Schreibarbeit und einer Gruppendiskussion in Neubrandenburg zu einem persoenlichen Gespraech mit der Bundestagsabgeordneten Susanne Jaffke (CDU) eingeladen worden. Wie gesagt, hatte ich aus verschiedenen Gruenden nicht viel Hoffnungen das Stipendium zu bekommen, umso schoener ist es jetzt in Amerika an unserem Computer zu sitzen, mit Hexen und Kuerbissen um mich herum (die Halloweenvorbereitungen fingen schon Mitte September an ...).

Natuerlich gab es nach meiner Auswahl noch viel mehr Papierarbeit (Visum, Briefe fuer die Gastfamilie), zwei Vorbereitungstagungen, der mit viel Spannung erwartete erste Brief der Gasteltern und auch unschoenere Dinge, wie zehntausend Impfungen, die man ja unbedingt fuer die Einreise in die Vereinigten Staaten braucht. Dann war da auch noch die Abschiedsparty (alle dort Anwesenden verkneifen sich jetzt bitte jegliches Grinsen! ) und die tränenreichen Abschiede von Familie und Freunden.

Bei meiner Abreise gab es auch wieder viel Aufregung, da es der Tag des grossen Black-Outs war, von dem auch Michigan betroffen war. Aber irgendwann kam ich in Detroit an (nachdem mein Gepaeck in Washington D.C. ploetzlich verschwunden war), wo schon meine Gasteltern mit weiss-blau-roten Blumen auf mich warteten und das erste, was ich richtig vom Land der "ubegrenzten Moeglichkeiten" sah, war ein Mc Donald's Drive-In, womit sich natuerlich jegliches Klischee bestaetigte. (Um der Frage vorzubeugen- es passen noch alle Hosen!)




Mir war von Anfang an klar und wird mir immer deutlicher bewusst, dass ich riesiges Glueck mit meiner Platzierung hatte! Meine Gasteltern, Ron und Karen, sind einfach super und meine norwegische Gastschwester und ich - tja "Vi har mye morro!" (we have a lot of fun!), unsere Farm, mit den beiden Pferden und drei Hunden ist der ganze Stolz unserer Gasteltern und sieht aus wie ein grosser botanischer Garten.



Die erste "little surprise" von Ron und Karen war ein Wochenende in Kanada, bei den Niagarafaellen, it was awesome!!!

Es gibt einfach so viel zu erzaehlen, ich denke, fuer dieses mal werde ich einfach meinen Alltag innerhalb der Woche beschreiben und sobald ich wieder Zeit finde, dann auf Dinge, wie den amerikanischen Nationalstolz, das Essen, Homecoming und die Footballplayer und Cheerleader eingehen ...

Aaaalsoooo, nach einer 45-minuetigen Busfahrt (fuer einen Weg, fuer den man normalerweise knapp 10 Minuten braucht!) beginnt mein Schultag um 7:45 Uhr mit Popular Literature, wo wir gehaltvolle Buecher wie "Catcher in the Rye" (noch heute reagiert mein gesamter Kurs allergisch auf das Wort "phony") und "One flew over the Cuckoo's Nest" ("Why do we have to read a book written by a crazy hippie under LSD-influence???") lesen. Nach 58 Minuten - ich habe keine Ahnung, wer sich diese Zahl ausgedacht hat- haben wir 6 Minuten, um zu unserem locker (= Schliessfach) zu rennen, Buecher zu tauschen und den Klassenraum zu wechseln.

Hier hat jeder Lehrer seinen eigenen Raum, den er nach seinem Geschmack (meist fachbezogen) einrichten kann und es gibt auch keinen festen Klassenverband, sondern nur Kurse. Meine naechsten Stunden sind dann Spanisch und Pre Calculus (ein fortgeschrittener Mathekurs - ja, alle, die mich in Deutschland in Mathe erlebt haben, koennen gerne lachen, aber hier mache ich mich gar nicht schlecht, auch wenn ich am Anfang arge Probleme hatte, Mathe in Englisch zu verstehen, wir haben schliesslich nie woerter wie "infinity" gelernt…), bevor ich in der vierten Stunde Current Events (Weltgeschehen verbunden mit Weltgeschichte) habe, was meist darin endet, dass irgendjemand eine clevere Frage an mich stellt, zum Beispiel "Does Germany still have a dictator?" - but I get used to it! Ich habe hier schon so viele - aaeeehhh, ungewoehnliche Fragen gehoert. "Do you have TV/Comics in Germany?" "Have you ever eaten Pizza?" Aber ich muss dazu sagen, dass die meisten Amerikaner sehr interessiert sind und ich auch noch keine deutschlandfeindlichen Sachen hier erlebt habe. Meine Gastschwester Line hat allerdings haerter zu kaempfen, da hier kaum jemand jemals was von Norwegen gehoert hat und sie sogar bezweifeln, dass sie dort Autos haben…

Nach einer 30-minuetigen Lunch-Pause habe ich dann noch Physics und Economy. Mein Economy teacher ist absolute klasse! Er bringt den eigentlich sehr trockenen Stoff richtig gut rueber und wir sind eigentlich die ganze Zeit nur am lachen. In der ersten Stunde hat er Line und mir gleich erklaert: "Okay Ladies, the first thing you will learn about America is: Americans are fat! I mean 68percent of us are over weight, but WHO CARES?? We can afford it!" Allerdings haelt sich die Sache mit dem Uebergwicht an unserer Schule sehr in Grenzen, da fast alle Schueler mindestens zwei Sportarten pro Jahr belegen und dann mit vollem Einsatz jeden Tag zum Training gehen...

Um 2:40 Uhr koennen wir dann in unseren Bus nach Hause steigen, Hausaufgaben erledigen, Mails lesen und beantworten, dinner essen und dann gehts auch wieder zurueck zur Schule, zu unserem taeglichen, zweistuendigen Basketballtraining - anstrengend!!! Aber dadurch haben wir schon einige Freunde kennengelernt und beugen dem vor, was alle in unserer Heimat bei unserer Rueckkehr erwarten werden: dass wir mindestens 3 Kleidergroessen zugelegt haben...

Mit dem englisch hier habe ich mittlerweile kaum noch Probleme, meine Schulnoten sind sehr gut und ich kann auch schon ueber die staendigen Witze meines Gastvaters lachen, aber wenn ich dann in meinem "Lieblings"kuckucksnestbuch einige Saetze sehe, merke ich, dass es doch gut ist noch 8 Monate hierzubleiben, um Dinge wie folgendes zu verstehen: "If I come on nice as pie to her, whatever else I in-sinuate, she ain't gonna get in a tizzy and have me electrocuted (...) As long as you don't lose your temper and give her actual reason to request the restriction of the Disturbed Ward or the therapeutic benefits of Electro Shock, you are safe…"

Als letztes muss ich allerdings sagen, dass ich Deutschland mehr als erwartet vermisse, deutsche Schokolade, Schwarzbrot, deutsche Musik und Soaps , aber natuerlich am meisten meine Familie und Freunde, die mir immer ganz liebe und lange Mails und Briefe schicken (thanks a lot!!!) und ich kann nur jedem raten, der sich fuer ein Austauschjahr interessiert, sich ganz schnell zu bewerben und am besten fuer das PPP-Vollstipendium, denn das Jahr ist auch mit Stipendium teuer genug

See you the next time!
Have a nice day!
Greetings, Franzi


PS: und der deutsche Ausdruck wird schlechter und schlechter und schlechter…